Eva Mongi-Vollmer:
Präsenz, Substantiv, feminin [die]

Es sind Frauenkörper – stehend, liegend, sitzend, in Gips skulptiert oder in Bronze gegossen, im kleinen Kabinettformat ebenso wie in überlebensgroßer Ausführung. Meist blockhaft gebundene, kräftige bis üppige Akte bilden den Kern von Wanda Pratschkes Oeuvre.

Das Thema der weiblichen Gestalt – auch im Fragment – zieht sich wie ein roter Faden durch das gesamte Werk der Künstlerin. Damit steht sie in einer langen Traditionslinie der weiblichen und männlichen Figurendarstellung, die in Deutschland insbesondere zu Beginn des 20. Jahrhunderts einen modernen Schub erhielt. Durch die Konzentration auf inhaltlich wie formal Elementares, auch durch die Rückbesinnung auf handwerkliche Wurzeln entwickelte sich gerade anhand dieses Themas ein breites Spektrum an künstlerischen Lösungen, vom expressiven Ernst Barlach (1870-1938) bis hin zum lyrischen Georg Kolbe (1877-1947). Mit Bildhauern wie Hans Mettel (1903-1966) und Willi Schmidt (1924-2011) wurde die Vorliebe für die menschliche Gestalt auch an der Frankfurter Städelschule bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts weiter getragen – an jenem Ort also, an dem die Künstlerin in den 1970er-Jahren studierte. Doch es scheint, als ob etwas Wesentliches die Künstlerin von den genannten Wegbereitern unterscheide: Der Blick auf den weiblichen Körper und die künstlerische Interpretation desselben sind die einer Frau.

Inwiefern mag diese Tatsache eine Rolle spielen? Es beginnt mit der Auswahl der Modelle. Sie kommen teils aus dem familiären Umfeld oder sind der Künstlerin vertraut. An diesen Frauen faszinieren die Bildhauerin nicht einstudierte, immer weniger auch die komplizierten Posen, sondern vielmehr ausdrucksintensive, teils spontane Haltungen. Jene ohne Voyeurismus, sondern respektvoll beobachteten Haltungen bilden den Kern der zu erarbeitenden Skulptur. Doch was im Kunstwerk ausgedrückt wird, geht über die Reflexion der äußeren Wahrnehmung hinaus. Denn die Künstlerin ist nicht nur Beobachterin, sie kennt selbst die weibliche Leiblichkeit, den eigenen Leib, dessen Haptik, dessen Weichheit und Festigkeit, dessen geschmeidige Artikulation, dessen Ruhe, dessen An- und Entspannung. Fast meint man, einem kreisenden Hin und Her von Außenbetrachtung des Modells und der Innenbetrachtung der Künstlerin beizuwohnen, durch das die weibliche Figur immer essenzieller und zugleich autarker vom nicht zuletzt kunstgeschichtlich etablierten durchdringenden Blick auf den Frauenakt wird. Mit dieser unprätentiösen weiblichen Außen- und Selbstbetrachtung ähnelt Pratschke der österreichischen Malerin Maria Lassnig (1919-2014), die mit ihren sogenannten Körperbewusstseinsbildern der Wahrnehmung ihrer Physis ein äußeres Bild zu geben vermochte. Beide Künstlerinnen blicken und spüren ohne konventionelle Projektion, frei von vorgefertigten Vorstellungen.

Die Skulpturen, die Wanda Pratschke entwickelt, sind das Ergebnis eines langen formalen Suchprozesses. Es ist ein zentrales Merkmal der Kunst des ausgehenden 19. und vor allem des 20. Jahrhunderts, den Arbeitsprozess am Werk sichtbar werden und bleiben zu lassen, ihn als Teil des Werkes selbst zu verstehen. Die Bildhauerin schafft in einem kleinteiligen Vorgang des zyklischen Entscheidens und des Verwerfens ihre stabilen Formen. In zahlreichen Spuren manifestiert sich dieser Vorgang sowohl im immer abstrakter werdenden Gerüst wie auch in der Oberfläche der Skulpturen. Ihr Weg zur dreidimensionalen Figur beginnt mal mit kleinformatigen Zeichnungen, mal mit einem modellierten Modell aus Ton oder Wachs oder auch mit einem Modell aus Styropor. Insbesondere seit 2010 arbeitet die Bildhauerin bevorzugt mit Gips. Dieses Material eröffnet eine neue, reizvolle Kombination aus dem plastisch-addierenden Modellieren und dem bild-hauerischen Entfernen. So werden der aus kleinen rechteckigen Gipsplatten und dickflüssigem Gips aufgebauten Form im weiteren Arbeitsprozess überschüssige Teile wieder abgeschlagen. Bruchkanten entstehen, glatte Flächen und harte Grate ebenso. An anderen Stellen hingegen werden im Laufe der Entstehung bei Bedarf weitere Volumina hinzugefügt, sodass die Figur einem langen Prozess des Wachsens und Schwindens unterzogen ist. Ein Prozess, in dem das innere mit dem äußeren Bild in Einklang kommt. Ein Prozess, der Schlagspuren ebenso stehen lässt wie kleine Gipströpfchen. Und in dem sich der Moment der ursprünglichen Idee in ein überzeitliches Monument transformiert. In dieser monumentalen Ruhe sind die Skulpturen mittels ihrer reinen Präsenz unverhohlen invasiv: Sie nehmen sich den Raum, den sie brauchen. Dabei brechen sie keineswegs durch ausgreifende Gebärden oder dynamische Achsen in den Raum hinein, sondern im Gegenteil: Es sind Körper, deren Volumen inklusive der Räume, die sie umspannen, unverrückbar und harmonisch in ihrer klaren Silhouette existieren.

Die im Arbeitsprozess entstehende buckelige bis schroffe Oberfläche korrespondiert raf finiert mit der blockhaften Geschlossenheit der Figuren. Keine tanzenden Lichterspiele auf schwingend bewegten Verläufen bilden die Epidermis – stattdessen sehen wir eine dicke, borkige, rätselhafte, geradezu undurchdringliche Haut. Kein Ein- oder Durchdringen scheint möglich. Pratschkes Skulpturen stellen einen wohltuenden Gegenpol zur makellosen (weiblichen) Schönheit dar, die auch unsere Gegenwart ständig propagiert. Statt deren reibungsfreien, glatten und fantasielosen vermeintlichen Schönheit bieten die Arbeiten in ihrer errungenen formalen Simplizität und Dichte sowie ihrer interpretativen Komplexität einen hohen ästhetischen Genuss.

Mit ihrer Herangehensweise, dem scheinbar unbedeutenden, durch keine symbolische, ikonografische, ideologische oder sinnlich-erotische Lesart besetzten Körper Raum zu verschaffen, hat Wanda Pratschke eine ganz eigene Art der weiblichen Darstellung gefunden. Es ist nicht die Sich-Präsentierende, die Posierende, die sich des Blickes eines anderen Bewusste, sondern es ist eine in sich Hineinfühlende und dort Ruhende. Durch ihren sensiblen wie geerdeten Ansatz gelingt es der Bildhauerin, in ihren Figuren die menschliche Grundbedingung und den besonderen Aspekt der Weiblichkeit sichtbar werden zu lassen. Mit dieser Suche nach der Essenz der Bedingungen steht sie inhaltlich in einer gewissen Nähe zum Ansatz Alberto Giacomettis (1901-1966). Doch während Giacometti seit den 1940er- Jahren mit der formalen Reduktion der Gestalten deren letztes und damit existenzielles Aufglimmen „bis auf die Knochen“ anstrebte, zielen Pratschkes Existenzfiguren auf volumenbasierte und spürbare weibliche Präsenz im Raum.

Als Bildhauerin hat Wanda Pratschke einen langen Weg hinter sich. Für ihre Generation war die Entscheidung zur physisch herausfordernden, vom handwerklichen Tun geprägten Bildhauerei noch keineswegs einfach. Es galt, sich zu behaupten. Legte sie früher noch bei jedem Arbeitsschritt selbst Hand an – so goss sie eigenhändig die Bronzen –, behält sie sich bis heute noch die Patinierung und bzw. farbige Fassung der Bronzen vor. Es ist die bemerkenswerte Konsequenz ihres eigenständigen, sich stets weiter entwickelnden und engagierten Schaffens, welches es nicht nur anlässlich des 80. Geburtstags der Künstlerin zu würdigen gilt.

Eva Mongi-Vollmer Städelmuseum Frankfurt am Main

englische Fassung:

Eva Mongi-Vollmer:
Presence: Präsenz, German, noun, feminine [die]


Female bodies – standing, reclining, sitting, sculpted in plaster or cast in bronze, in small cabinet format as well as in larger-than-life dimensions. The core of Wanda Pratschke's oeuvre largely consists of cubical, sturdy to opulent nudes.

The theme of the female figure – including in fragments – is central to the artist's entire oeuvre. This puts her in a long tradition of representing female and male figures, a tradition that experienced a modernist thrust in Germany at the beginning of the 20th century in particular. By concentrating on the elementary in terms of content and form, and also by returning to the roots of craftsmanship, a broad spectrum of creative solutions developed, ranging from the expressive Ernst Barlach (1870-1938) to the lyrical Georg Kolbe (1877-1947). Sculptors such as Hans Mettel (1903-1966) and Willi Schmidt (1924-2011) perpetuated this preference for the human figure in the second half of the 20h century at the Frankfurt Städelschule school of art – the very place where Wanda Pratschke studied in the 1970s. However, it seems as if something essential distinguished the artist from her forerunners: the perspective she uses to look at the female body and interpret it as an artist is that of a woman.

To what extent does this fact matter? It all starts with selecting the models. Some of them come from her own family or are acquainted with the artist. What fascinates the sculptor about these women is not the rehearsed postures, less and less the complicated poses, but rather their expressive, often spontaneous positions. Those postures that the artist examines without the slightest hint of voyeurism, but with respect, form the core of the sculpture to be created. Yet what is expressed in the work of art goes beyond the reflection of external perception. For the artist is not only an observer, she herself knows the female physical form, her own body, its haptics, its softness and firmness, its supple articulation, its calmness, its tension and relaxation. One almost seems to be witnessing a circling back and forth between the exterior view of the model and the interior view of the artist, a process that increasingly brings out the essence of the female figure, and at the same time separates it from the penetrating look at the female nude, an approach established not least in art history. In her unpretentious female view of herself and the outside world, Pratschke resembles the Austrian painter Maria Lassnig (1919-2014), who in her so-called body consciousness pictures created an external image of how she perceived her own physical appearance. Both artists look and feel without conventional projection, and are free of prefabricated ideas.

The sculptures Wanda Pratschke develops are the result of an extensive formal process of searching. One of the central characteristics of late 19th and, particularly so, 20th-century art is to make the process of creation apparent in the work, and to allow it to remain so, to consider it part of the work itself. The sculptor creates her robust forms in a process of cyclical decision-making and rejection. This procedure manifests itself in the numerous traces it leaves both in an increasingly abstract structure as well as in the surface of the sculptures. Her route to a three-dimensional figure begins either with small-format drawings, with a model made of clay or wax, or with a model carved from polystyrene. Since 2010 in particular, the sculptor has primarily worked with plaster. This material opens up a new, attractive combination of additive, or plastic, modelling and sculptural removal. In this way, excess parts are chipped off from the form which is created from small rectangular plasterboards and viscous plaster. Break edges are created, as are smooth surfaces and hard ridges. In other parts, by contrast, extra volume is added where required in the process of creation, so that the figure experiences a long process of growing and decreasing. A process in which the inner and outer image converge. A process in which the traces of impact are just as evident as are tiny drops of plaster. And in which the moment of the original idea is transformed into a timeless monument.

In their monumental calmness, the sculptures are blatantly invasive due to their pure presence: they claim the space they need. And yet, by no means do they make their way into space by means of expansive gestures or dynamic axes; on the contrary, these are bodies whose volumes, including the spaces they encompass, are immovable and harmonious as a result of their clear silhouettes.

The bumpy to rugged surface that emerges during the process of creation subtly corresponds with the cubic compactness of the figures. No light dances on vibrating surfaces to form the epidermis – instead, we can see a thick, hardened, mysterious, almost impenetrable skin. Neither intrusion nor penetration seems possible. Pratschke's sculptures constitute a pleasant antithesis to the immaculate (female) beauty which is constantly being propagated in our time. Instead of such supposed beauty, frictionless, smooth and unimaginative, these sculptures provide high aesthetic enjoyment by virtue of their formal simplicity and density as well as their interpretative complexity.

Her approach of providing space for a body that may seem insignificant, a body that does not lend itself to any symbolic, iconographic, ideological, or sensual erotic interpretation, has come to be Wanda Pratschke's highly individual style of female representation. What she depicts is neither a woman presenting herself, nor a woman posing, aware of the gaze of an observer, but a person exploring her inner feelings, and at ease with them. As a result of her sensitive, down-to-earth approach, the sculptor succeeds in revealing the basic human condition and the specific perspective of femininity in her figures. In her quest for the essence of the human condition, she relies on an approach that resembles the one used by Alberto Giacometti (1901-1966) in terms of content. However, while Giacometti had, since the 1940s, used formal reduction "to the very bone" to highlight his figures in their final, and thus existential glow, Pratschke's existential figures are the epitome of a volume-based, distinctively female presence in space.

Wanda Pratschke has come a long way as a sculptor. For her generation, the decision to create physically challenging, handcrafted sculptures was by no means an easy one. It was a question of asserting herself. Whereas in the past, she used to carry out every step of creating her works by herself – for instance, casting the bronzes –, today, she still reserves the prerogative to personally add patina or colour to the works. This is the remarkable corollary of her independent, commitment-based oeuvre which continues to develop, and deserves to be recognised beyond the artist's 80th birthday.

Eva Mongi-Vollmer Städelmuseum Frankfurt am Main